Die Welt ist ... ein riesengroßer Abenteuerspielplatz!

Die Welt ist ... ein riesengroßer Abenteuerspielplatz!

Vor einigen Jahrhunderten hat ein weltbekannter englischer Dramatiker gesagt: „Die Welt ist eine Bühne“.

Aus seiner Perspektive mag das vielleicht stimmen ... doch als Mama eines neugierigen einjährigen Mädchens möchte ich eine Änderung vorschlagen. Denn wer mit einem (oder zwei, oder drei) solchen kleinen Schätzchen Hand in Hand geht, der weiß: die Welt ist nichts anderes als ein riesengroßer Abenteuerspielplatz – und wir alle sind dort die Entdecker.

Das wird uns als Eltern erst dann bewusst, wenn wir jede Selbstverständlichkeit unseres Alltags durch die Augen unserer Kinder sehen und erklären müssen.

Auf der einen Seite befindet sich die neue Perspektive, die neue Sichtweise aus Kindsaugen, die wir verinnerlichen. Mit dieser neuen Wahrnehmung der Welt schulen wir uns dann Tag für Tag, um uns der Wahrnehmung unserer Kleinen anzunähern – und plötzlich ist die Couch nicht nur eine Couch sondern ein aufregender Kletterberg mit all den Kissen darauf, die in Kinderaugen wie Hügel und Hindernisse wirken müssen. Die Kartonbox aus der letzten Windel-Bestellung ist nicht mehr nur eine Kartonbox sondern wird schnell zum Puppenhäuschen modifiziert. Der Kochlöffel wird zum Zauberstab und Mamas Handtasche ist sowieso eine Schatzkiste. Banales wird aufregend, Alltägliches wird gefeiert, Gewohntes aus unserem Erwachsenenleben wird plötzlich ganz neu entdeckt und umfunktioniert.

Auf der anderen Seite befindet sich ein kleiner Mensch, der nicht nur entdeckt wie alles funktioniert, sondern alles neu erlernen muss. Dem Worte als Begriffe für Gegenstände, Beschreibungen oder alles was er tut beigebracht werden müssen. Wenn ich mit meinem kleinen süßen Mädchen morgens auf der Terrasse spazieren gehe und ihr die hübschen Blumen zeige, versuche ich ihr beizubringen, was „wunderschön“ bedeutet.

„Schau Joïe! Diese Blume ist wunderschön – sooo wunderschön“, wiederhole ich einige Male. Mit einer gewissen Tonart in der Stimme, versuche ich dabei zu signalisieren, dass das was Positives ist. Oft frage ich mich, wie Joïe unterscheidet, wenn ich sage „Die Blume ist gelb“ oder „Die Blume ist rosa“, anstatt „wunderschön“ – woher wird sie abstrakte Adjektive erlernen, die schwieriger zu begreifen sind als nur Farben zu benennen.

Und dann die Verben: „essen“, „trinken“, „malen“ – die kann man ja noch durchs Zeigen beibringen. Was ist aber mit „denken“, „fühlen“ und „fürchten“? Viele setzen sich vielleicht nicht mal mit dieser Thematik auseinander – ganz einfach, weil sie wissen, dass Kinder automatisch eine Sprache nachahmen und von alleine anfangen zu sprechen. Doch was ist bei mehrsprachigen Kindern?

Unlängst hatte ich erwähnt, dass Joïe mehrsprachig aufwächst. Und genau darüber mache ich mir Gedanken – denn es handelt sich nicht nur um zwei Sprachen, die bei uns zu Hause gesprochen werden, sondern um vier unterschiedliche! Mein Mann und ich reden Englisch miteinander, mit Joïe rede ich Deutsch, er mit ihr Englisch. Dann kommen aber noch die Großeltern dazu, die zwei zusätzliche Sprachen mit ins Boot bringen. Und die könnten unterschiedlicher gar nicht sein: Bulgarisch mit den kyrillischen Buchstaben und Hebräisch mit einer ganz eigenen Schrift. Ihr habt’s erkannt. Zum kompletten Wort- und Sprachsalat fehlt fast nur noch Chinesisch und wir hätten fast alles zusammen ;)

Viele bi- und multilingualen Gruppen und Foren sind da felsenfest sicher: es wird schon. Es gäbe keine „Sprachverunsicherung“. Kinder würden direkt alle Sprachen lernen. Das sei durch Studien belegt. Jedoch stammen viele Erfahrungen daher, dass Eltern mit den Kleinen ihre Muttersprache reden – jeweils separat. Und somit wird der Sprachschatz auf natürliche Weise aufgebaut. Das ist bei uns nicht der Fall – und mündet darin, dass wir ständig scherzen, wie Joïe perfektes gebrochenes Deutsch und gebrochenes Englisch lernen wird. Wie sollte ich also mit allen diesen Sprachen verfahren – und mit den Begrifflichkeiten erst?!

Dazu habe ich meine eigene Methode entwickelt! Zunächst muss ich erwähnen, dass bei uns das Talent zur Kunst der Pantomime in der Familie liegt. Joïes Opa, mein Vater, ist nämlich als professioneller Mime auf den Weltbühnen unterwegs – und ich, Joïes Mama, habe noch vor einigen Jahren, in der Zeit vor meiner ärztlichen Tätigkeit, mit ihm auf einigen Bühnen gestanden und Mimodramen gespielt.

Dieses Talent kam mir nun sehr gelegen. Denn wie sonst hätte ich Joïe „Freude“ und „Traurigkeit“ oder „kalt“ und „heiß“ erklären können? Mittlerweile verstehen Joïe und ich uns pantomimisch so gut, mit einem Zwinkern dazu, dass Worte nicht mal mehr notwendig sind! Einmal Augenbrauen hoch (von mir) und Joïe weiß: das ist ein „No-go“! Überhaupt kann man so viel mit Mimik und Gestik bei den Kleinen erreichen! Da nähern wir uns doch der Aussage des englischen Dramatikers, dass die Welt eine Bühne sei...

Doch Einiges muss in verbaler Form beigebracht werden – und da habe ich ebenso meine eigenen Lehrtechniken entwickelt ;-)

Beim Obst essen benenne ich zum Beispiel jede einzelne Sorte in allen Sprachen, die ich kenne – mehrfach in der gleichen Reihenfolge. So zum Beispiel heißt es bei der ersten Erdbeere „Erdbeere“, bei der zweiten „Strawberry“, bei der dritten „Yagodka“ und so weiter. Das gleiche mit Pfirsichen, Wassermelonen und allen anderen leckeren Obstsorten, die Joïe jeden Nachmittag neu entdecken darf. Ähnlich geht es natürlich weiter mit allem Essbaren, das benannt werden kann. Brot, Avocados, Hühnchen, Yoghurt. Etwas schwieriger wird es, Joïe „Ratatouille“ zu erklären – zum Glück leben wir nicht in Frankreich! ;-)

Doch eine Sprache besteht ja nicht nur aus Begriffen für Lebensmittel. Und da genau kommen wir zurück zu unserem Abenteuerspielplatz.

Nur durch Entdecken, Machen und Erfahren wird ein Kind Abstraktes erlernen, Situationen, die nicht durch ein Wort beschrieben werden können, bewältigen und sich Wissen über die Welt aneignen. Denn das Lernen beginnt so viel früher als die Schule oder der Kindergarten, und bedeutet auch viel mehr als ein Handvoll Bauklötze.

Je mehr wir die Kinder machen lassen, sie ihre eigene Neugier befriedigen und immer Raum für Neues zulassen, desto mehr lernen unsere Kleinen. Desto freier fühlen sie sich – und damit auch glücklicher. Hier rede ich nicht von einer Taktik des unverantwortlichen und unpädagogischen „Sein-lassens“ bis zum Neglect, sondern eher von einem „Laissez-faire“ mit Verdeutlichung der Grenzen. Denn ein „Nein“ ist selbstverständlich in vielen Situationen notwendig – und das lernen unsere Kleinen schnell. Genauso schnell, wie sie lernen sich dann trotzig und schreiend auf den Boden zu schmeißen, wenn sie ein „Nein“ hören.

Wir sollten die Welt zu dem Abenteuerspielplatz machen, den sich jedes Kind wünscht – einen Platz, an dem Vögel zu Drachen werden und sich Bäume in Hochhäuser verwandeln können. Einen Platz, an dem in jeder Ecke eine spannende Geschichte steckt und ein Märchen auf das andere folgt. Das ist unsere Aufgabe als Eltern.

Wir sollten unseren Kindern so lange wie möglich ihre Träume lassen. Denn Lernen können sie in der Tat schnell – und sie werden auch lernen, dass die Welt nicht immer rosa und hellblau ist und aus Zuckerwattenwolken besteht. Aber solange können wir ihnen ihre Fantasie erhalten, versuchen Positives beizubringen, von „wunderschönen“ Blumen singen – und hoffen, dass sich die Welt in allen Kinderaugen nicht dunkel, trostlos und eisig-kalt zeigt.

Wie geht es euch, wenn ihr versucht euren Kleinen etwas beizubringen?

Ihr könnt gern die Kommentar-Funktion unter dem Facebook-Beitrag nutzen, um eure Erfahrungen mitzuteilen!

Bis zum nächsten Mal und bis zur nächsten Vorstellung auf der Bühne, die unsere Welt ist.

Eure Radina William und Joïe Shakespeare

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